In Italien stehen derzeit Mediziner vor einer täglichen Entscheidung, wer behandelt wird und wer nicht. Damit einhergehend ist unter Umständen die Entscheidung, wer von den nicht Behandelten stirbt.
Ist ein derartiges Szenario in Deutschland möglich? Dies können nur Virologen und Mediziner realistisch einschätzen.
Was wäre wenn?
Das bisher bekannte Auswahlverfahren der Mediziner wird Triage genannt. Der Ausdruck ist abgeleitet vom französischen Verb Trier, was soviel bedeutet wie sortieren oder aussuchen. In Italien
wurde die Triage durch Vorgabe fachmedizinischer Gesellschaften konkretisiert.
Die rechtliche Situation in Deutschland ist unklar. Es gibt keine Richtlinien, die eventuell mit Empfehlungen verbunden sind. Die Literatur ist reich an rechtsethischen Fachpublikationen, der
nationale Pandemieplan schweigt sich dazu aus.
Der Mediziner im Krankenhaus ist strafrechtlich als Garant verpflichtet, intensivmedizinisch zu behandeln. Wird dies unterlassen und führt dies zum Tod des Patienten handelt es sich
tatbestandsgemäß um Totschlag durch Unterlassen.
Reichen jedoch Mittel nicht aus, allen gleichermaßen zu helfen, gelangt der Mediziner in eine Handlungspflichtkollision. Dies ist gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt. Der rechtfertigende
Notstand gemäß § 34 StGB legt dar, dass die Abwendung der größeren Gefahr die Hinnahme der geringeren legitimiert. Kann ein Patient noch eine Weile durchhalten, ist die vorrangige Behandlung des
Akutbedürftigen die erlaubte Wahl des kleineren Übels. Medizinische Dringlichkeit ist ein zulässiges Auswahlkriterium. Bei gleicher Dringlichkeit bietet jedoch auch das StGB keine Hilfe. Die
Beurteilung dieser Fälle ist umstritten. Idealerweise wird die Rettung beider verlangt, was auch Sicht des behandelnden Mediziners Unmögliches beinhaltet. Die herrschende Meinung verlangt die
Rettung einer Person und überlässt dem Mediziner die freie Wahl. Darlegungen, die Entscheidungen sollten sich am Gleichheitsgrundsatz und an bewährten ethischen Kriterien orientieren, sind
strafrechtlich belanglos. Selbst eine Bestechung verstößt gegen ärztliches Standesrecht, nicht mehr.
Insoweit verlangt es nach einer gesetzlichen Grundlage. Die Triage-Regelung italienischer Praxis könnte als vages dienen. Ihr Inhalt entspricht einem Tabukatalog, in dem die Orientierung an
sozialem Status, Alter und Geschlecht verlangt sein könnte. Dasselbe gilt für die Lebensrestzeitberechnung. Das Bundesverfassungsgericht hat sich im Zusammenhang mit einer komplett anderen
Materie im Luftsicherheitsgesetz 2013 veranlasst gesehen, zu beschließen, dass menschliches Leben ohne Rücksicht auf die Dauer der physischen Existenz des einzelnen gleichen
verfassungsrechtlichen Schutz genießt.
Demzufolge wäre die Aufgabe nur dessen legitimiert, der ohnehin keine realistische Chance hätte, Covid-19 auch bei optimaler Versorgung zu überstehen.
Eine Katalogisierung ist schwieriger. Ausgangspunkt ist die Anti-Utilitaristische, am normativen Individualismus orientierte Ausrichtung des Grundgesetzes. Diskutabel sein könnten Fragen der
medizinischen Dringlichkeit nach dem Motto: „Wer warten kann, muss warten“, auch wenn sich seine Überlebensaussicht verschlechtert. Dabei ergibt sich jedoch die Möglichkeit, am Ende sogar beide
Patienten zu retten. Auch im Verteilungskampf um lebensrettende Organe wird dieses Prinzip grundlegend.
Als weitere Option kommt eine Zufallsentscheidung in Betracht.
Wie auch immer, der Gesetzgeber ist dringend zur Regelung aufgerufen, um den Medizinern Entscheidungssicherheit zu geben.